Vít Petrjanoš: Computerkunst? 

 Zdeněk Sýkora antwortet: Ich überschätze den Computer nicht

 

 Motto: "Alles, was der Mensch erlebt, wird in seiner inneren Struktur gespeichert, aus der wiederum alles entsteht – egal, was man tut, ob man spricht oder eine Landschaft malt. Auf welche Weise man auch arbeiten mag, man bringt immer sich selbst hervor.“ Zdeněk Sýkora

Der Maler Zdeněk Sýkora (Jahrgang 1920) ist ein führender Vertreter des tschechischen Konstruktivismus der Nachkriegszeit und ein Vorreiter der Computerkunst in unserem Land. Nach dem Krieg studierte er an der Hochschule für Architektur Kunsterziehung und deskriptive Geometrie.
 /Redaktionelle Anmerkung: Zdeněk Sýkora schrieb sich 1945 für das Lehramtsstudium in den Fächern Kunsterziehung und deskriptive Geometrie ein, die man damals an der Hochschule für Architektur und Hochbau der TH Prag studierte. Diese Fächer wurden im darauffolgenden Jahr an die Pädagogische Fakultät der Karlsuniversität Prag verlegt, sodass er ab dem 5. 10. 1946 sein Studium dort fortsetzte. Sein Hauptfach war Kunsterziehung, Nebenfächer waren deskriptive Geometrie und geometrische Modellierung. Seine letzte Staatsprüfung legte er am 7. 11. 1947 ab. Ab 1946 war er an dieser Fakultät Assistent bei mehreren Professoren. 1966 wurde er zum Dozenten am Institut für Kunsterziehung der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität Prag ernannt – dort und an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität lehrte er bis 1980./ Im Jahr 1966 verteidigte er seine Habilitation für das Fach Malerei am Institut für Kunsterziehung der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität Prag und lehrte dort bis 1980.

 

Seine Werke sind in den Sammlungen vieler Museen für moderne Kunst in Europa und Übersee vertreten. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, in der Tschechoslowakei zuletzt in der Prager Galerie „Nová síň“ in der Voršilská-Straße (siehe Computerworld, 1991, Nr. 8). Zdeněk Sýkora lebt in Louny. 

 

Er war so freundlich, unserer Zeitschrift ein Interview zu geben. Bei unserem Treffen waren auch seine Frau, Lenka Sýkorová, und unser gemeinsamer Freund, der Maler Radim Vejvoda, anwesend. 

 

Wann und wie haben Sie das erste Mal einen Computer bei Ihrer Arbeit verwendet? 

1962 malte ich ein abstraktes Bild mit dem Titel „Graue Struktur“, das aus geometrischen Elementen bestand, die in ein Raster eingefügt waren, wobei ich so gut wie möglich darauf achtete, die Regel einzuhalten, dass nicht zwei Flächen derselben Farbe aneinander angrenzen. Als ich über weitere Regeln für Bildkompositionen nachdachte, wurde mir klar, dass man zum Lösen solcher kombinatorischen Aufgaben einen Computer verwenden könnte.

 

Ich wandte mich also an meinen Freund, den Mathematiker Jaroslav Blažek. Gemeinsam bereiteten wir ein Programm für einen Kleinrechner (es handelte sich um den Computer LGP-30, der damals auf eine amerikanische Lizenz von der deutschen Firma Eurocomp GmbH in Minden, Westfalen, hergestellt wurde – Anmerkung VP) und eine Gruppe von Elementen vor, die durch die Kombination von Halbkreisen in einem Viereck entstanden waren. Jedes Element war mit einem spezifischen Code versehen.

 

Das Programm umfasste vier Regeln für die Zuordnung der einzelnen Elemente, die mithilfe einer Boole’schen Kombination aus zwei Termen generiert wurden – Weiterführung der Farbe (die Farbe der benachbarten Seiten zweier Elemente ist gleich) und die Weiterführung der Form (der Halbkreis in einem Element wird durch ein zweites Element zu einem Kreis ergänzt).

 

Danach stellten wir ein Eingabeschema auf, in das ich bereits mehrere Elemente eingesetzt hatte, und mithilfe der Vorzeichen + und - kennzeichnete ich, ob die Intensität der Farbe Schwarz zunehmen oder abnehmen soll. Die Änderung der Intensität wurde durch einen vorgegebenen Koeffizienten festgelegt, der zur Ausgangsintensität hinzugerechnet oder von ihr abgezogen wurde. Der Computer durchlief wiederholt die einzelnen Reihen des Schemas und ordnete die Elemente gemäß den vorgegebenen Regeln den freien Plätzen zu, bis er alle Positionen im Schema ausgefüllt hatte. /Redaktionelle Anmerkung: Genaueres dazu in: Zdeněk Sýkora – Jaroslav Blažek, Computer-aided Multi-element Geometrical Abstract Paintings, Leonardo, 1970, Jg. 3, S. 409–413./

 

Wie erreichten Sie, dass sich die einzelnen Bildkompositionen voneinander unterschieden? 

Durch eine Veränderung des Eingabeschemas, des Koeffizienten für die Intensität und die Priorisierung einer der vier Regeln entstanden unterschiedliche Kombinationen der Elemente.

 

Betrachten Sie das Konzipieren der Bedingungen für die Platzierung der Elemente als grundlegendes kreatives Element? 

Ja. Das zweite kreative Element war die Zusammenstellung einer Gruppe von Elementen. Das Ganze spiegelte meine damalige Abneigung gegenüber dem Zufall wider.

 

Was hat Sie zur Festlegung der jeweiligen Bedingungen und der jeweiligen Elemente bewogen? 

Die Entwicklung meines Schaffens führte mich vom Impressionismus zu immer größerer Abstraktion, was mich schließlich dazu brachte, die Strukturen zu schaffen. Man kann sagen, dass alles auf diesem langen künstlerischen Weg logische Konsequenzen waren. Es entspringt demselben Geist. Die einzelnen Schaffensphasen spiegeln meine gesamte Haltung zur Malerei, meine Entwicklung wider.

 

Damals versuchte ich, den Schaffensprozess unter Kontrolle zu bekommen. Ich arbeitete mich zu einem rechteckigen Grundelement vor, das in mehrere Segmente geteilt war, die ich mechanisch mit Schwarz, Weiß und zwei Grautönen ausfüllte. So entstand das Bild „Graue Struktur“.

 

Mich würde diese ungeheure Zahl an Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, deprimieren. 

Für mich dagegen ist diese Vielzahl an Möglichkeiten etwas Aufregendes.

 

Nach welchem Prinzip wählten Sie die zu kombinierenden Elemente aus? 

Dahinter stand kein Prinzip, das ergab sich spontan. Als mir klar zu werden begann, dass dies eine mögliche Arbeitsweise ist, dass es funktioniert, habe ich überhaupt nicht über Auswahlprinzipien nachgedacht.

 

Trotzdem denke ich, dass Sie bei der Festlegung der Bedingungen eine bestimmte Sichtweise favorisieren mussten. War das die mathematisch-technische Sichtweise oder die visuelle? 

Natürlich die visuelle. Als ich mich davon überzeugt hatte, dass das kombinatorische Prinzip als künstlerischer Ausdruck funktioniert, dass es brauchbar ist, beurteilte ich das Problem vor allem aus visueller Sicht; erst dann kam die technische Seite ins Spiel.

 

Das lag auch daran, dass sich ein Werk aus dem anderen ergab. Anhand einer Komposition konnte man sich über weitere Möglichkeiten klar werden: Man sah, in welche Richtung es weitergeht, welche Kombination von Bedingungen zu wählen ist.

 

Es blieb nicht nur bei einer Gruppe von Elementen... 

Wir kreierten mehrere, einige unter Verwendung von Rechtecken, die ich weiter in dreieckige Elemente unterteilte.

 

Wie sind Sie zu Ihrer derzeitigen Schaffensphase – zu den Linien – gelangt? 

Ich hatte die Idee, halbkreisförmige Elemente schrittweise zu vergrößern und aus den einzelnen Strukturen Ausschnitte anzufertigen, eine Art Makrostrukturen. Ab einem gewissen Moment verschmolzen die Elemente zu einer Fläche und die Grenzlinien zwischen den Elementen wurden zum entscheidenden Ausdruckselement. Das Phänomen der Linien als solche begann mich zu interessieren. Ich versuchte, sie aus Bögen zu konstruieren, die durch zwei Punkte und Tangenten gegeben waren, wobei die Tangenten in einer bestimmten Richtung durch diese Punkte verliefen. Dabei nahm ich immer stärker den Zufall zu Hilfe.

 

Verwenden Sie auch hier ein Programm, das die Eingabedaten in Ausgabedaten transformiert? 

Nein. Ich benutze lediglich einen Zufallszahlengenerator, mit dem ich als Vorbereitung mehrere Zahlenreihen generiere. Ich gebe in den Computer den 

gewünschten Zahlenbereich ein, beispielsweise von 5 bis 5000, und die generierten Zahlen sind die Werte, die ich bei der Konstruktion verwende.

 

Jeder erwartet, dass man bei der Verwendung des Computers automatisch ein Programm erstellen muss und dass die Daten durch ein künstliches Hilfsmittel, das sie bearbeitet, „gefiltert“ werden müssen. Ich habe versucht, den Zufall unmittelbar, in absolut reiner Form zu nutzen.

 

Was alles legt der Computer fest? Bestimmt er die Richtung, die Stärke und Farbe jedes Strichs? 

Die Anfangspunkte jeder Linie werden mithilfe der Koordinaten x, y je nach Leinwandgröße festgelegt – der Computer generiert sie aus ganzen Zahlen. Wenn ich beispielsweise eine Leinwand der Größe 150 x 150 cm habe, wird der Anfang aus den Zahlen von 0 bis 150 ausgewählt. Die nächste Angabe betrifft die Strichbreiten und die Farben; dann folgen die Längen und Richtungen der Tangenten – von den in Betracht kommenden 360 Grad werden nur gerade Gradzahlen ausgewählt, sofern ihre Auswahl nicht in irgendeiner Form weiter eingeschränkt ist. Aus der Länge der Tangenten und den Winkeln zwischen ihnen wird der Radius der Bögen berechnet.

 

Für die Farbe einer Linie muss nicht nur eine Zahl festgelegt werden; die Farben werden meist aus dreißig Grundfarben ausgewählt. Für jede Linie wird individuell die mögliche Anzahl an Farben bestimmt (meist von 1 bis 5), aus denen die endgültige Farbe im Verhältnis eins zu eins gemischt wird.

 

Haben Sie schon einmal erwogen, diese oder ähnliche Ausgabedaten in eine andere Form zu übertragen – eine dreidimensionale (z. B. eine Plastik) oder eine zeitlich veränderliche (z. B. einen Animationsfilm)? 

An der dreidimensionalen Form habe ich mich versucht, aber das Werk, das ich aus Drähten gefertigt habe, stellte mich nicht zufrieden. /Redaktionelle Anmerkung: Die Arbeit an diesem Objekt wird in Texten des Künstlers vom Ende der siebziger Jahre erwähnt (Archiv LZS). Das Werk ist nicht erhalten./ In dem Moment, in dem ich eine Gruppe aus mehreren Linien zusammengestellt hatte, konkretisierte sich die ganze Sache im realen Raum. Sie wurde zur Plastik und büßte das Geheimnis der abstrakten mehrdimensionalen Fläche ein. 

 

Welche Bedeutung messen Sie der Kreuzung von Linien bei? 

Das ist eine grundlegende Sache, die ich ganz am Ende, erst bei der Umsetzung mache. Die Beschreibung der Kreuzung ist im ersten Output des Computers nicht enthalten: Es ist eine weitere binäre Reihe, die nur die Zahlen 1 und 2 umfasst. Dementsprechend wird dort, wo sich zwei Linien überschneiden, der jeweiligen Linie automatisch der nächste Wert aus dieser Reihe zugeordnet, der festlegt, ob die Linie über oder unter der anderen verläuft, die sie kreuzt.

 

Aber wahrscheinlich können Sie nicht sagen: Ich generiere zum Beispiel 40 Zahlenfolgen und wähle (aus einer gewissen Erfahrung heraus) einige von ihnen aus, die ich kombiniere... 

Auf gar keinen Fall. Ich muss die nehmen, die genau nacheinander generiert werden.

 

Radim Vejvoda: Kommt es vor, dass Sie schon aus den Zahlenfolgen erkennen, welche Kombination, sagen wir, aufregender wird? 

Allgemein gesprochen nein, obwohl ich ab und zu eine gewisse Vorstellung habe. Schon beispielsweise aus der Kombination der Farben kann ich schließen, was mich erwartet.

 

Aber trotzdem setzen Sie eine solche Kombination in jedem Fall um. 

Natürlich. So konsequent zu sein, ist das Grundprinzip meiner Arbeit. Auch eine Kombination, die zunächst uninteressant erschien, kann zu einem Ergebnis führen, dass ich überrascht bin. Der Zufall bereichert den Menschen: Er hindert ihn daran, in Stereotypen zu verfallen. Bei jedem Bild bin ich am Ende derjenige, der am meisten schockiert ist, obwohl ich vorher zumindest ein bisschen weiß, was in etwa entstehen könnte.

 

Die größte Analogie für diese Art Kunst finde ich in der Musik. Für einen Komponisten, der die einzelnen Parts mehr oder weniger getrennt schreibt, muss es auch ein großes Erlebnis sein, wenn er das ganze Werk komplett von allen Instrumenten gespielt hört.

 

Und wie ist das mit dem Animationsfilm? 

Das habe ich auch ausprobiert /Redaktionelle Anmerkung: Es handelt sich um eine etwa dreiminütige Aufnahme über die Entstehung einer Linie, die 1976 auf 16-Millimeter-Film festgehalten wurde./, aber das Ergebnis war furchtbar langweilig und zudem war es eine schreckliche Arbeit. Ich malte Stück für Stück eine Linie, wobei die einzelnen Stadien aufgenommen wurden. Den Film versuchten wir dann, auf eine Breitbandleinwand zu projizieren. Wenn alle Linien hätten gefilmt werden sollen, wäre das eine riesige Arbeit gewesen, denn alle hätten gleichzeitig, im selben Moment beginnen müssen.

 

Und eine musikalische Umsetzung? 

Ich höre das direkt auch als Musik, aber ich komme einfach nicht dazu, etwas ins Werk zu setzen. Schon circa fünfzehn Jahre plane ich, Kontakt zu einem Komponisten aufzunehmen. Ich dachte dabei an Eduard Herzog /Anmerkung der Redaktion: Eduard Herzog (1916 – 1997), tschechischer Musikwissenschaftler, Spezialist für elektroakustische Musik, Pianist, Mathematiker, Übersetzer, Rundfunkdramaturg./ (er weiß davon aber nichts!), doch wir sind wahrscheinlich beide so beschäftigt, dass es bislang nicht möglich ist. Ich stelle mir das als Gemeinschaftswerk vor: das Bild und dazu das Klangäquivalent zu denselben Ausgabedaten aus dem Computer.

 

Besitzen Sie einen PC? 

Bis jetzt nicht, aber in Zukunft rechnen wir fest damit – nicht nur für meine künstlerische Arbeit. Wir brauchen ihn in der Familie zu Dokumentationszwecken, für Adressen u. Ä. Wichtig wird die Qualität des Zufallszahlengenerators sein; ich bezweifle, dass ich meine Vorgehensweise vorläufig irgendwie verändere. Meine Frau Lenka wird Herrin des Computers sein. In Mathematik und als Organisatorin ist sie sehr viel besser als ich. Niemand würde es fertigbringen, mein Archiv so schnell zu ordnen, wie sie das geschafft hat.

 

Wie malen Sie sich Ihre Rolle als Herrin des Computers aus, Lenka? 

Lenka Sýkorová: Wie Sie sehen, male ich sie mir gemeinsam mit meinem Mann aus. Den PC halte ich für ein Instrument, das die Arbeit erheblich erleichtern, das Gedächtnis hervorragend „verlängern“ kann.

 

Zdeněk Sýkora: Ursprünglich haben wir diese Dinge ohne Computer gemacht. Wir hatten Taschenrechner, Stift und Papier und meisterten alles mechanisch: Wir hatten einen Leinenbeutel mit Nummern, aus denen wir die Zahlen zogen. 

 

Gab es Beschränkungen? 

Anfangs ja, denn wir hatten zum Beispiel nur 12 Richtungen für die Tangenten. Später war es schon komplizierter: jede Linie veränderte sich beispielsweise auch in ihrem Verlauf. Aber auch jetzt lassen sich zahlreiche abstrakte Sachen ganz ohne Computer machen. Meiner Meinung nach überschätzen ihn die Leute ganz enorm.

 

Ich bin nicht besonders stolz darauf, dass der Computer in meinem Werk eine gewisse Rolle spielt; schließlich ist das heutzutage eine mehr oder weniger normale Sache bei allen möglichen Tätigkeiten. Bei uns begegne ich immer noch einem ähnlichen Erstaunen, wie es den ersten Lokomotiven entgegengebracht wurde – besonders bei einer Reihe von Künstlern und Kunstwissenschaftlern, die regelrecht Anstoß daran nehmen.

 

Radim Vejvoda: In den Menschen steckt etwas hartnäckig Konservatives. Schon allein der Umstand, dass endlich jemand einen Raum auf der Fläche entstehen ließ, frei von illusionistischen Tricks, wie der Perspektive und anderen Mitteln, die einen Raumeindruck hervorrufen, machte die Leuten regelrecht blind vor Wut. Und die Tatsache, dass wir unsere Sichtweise ernst nahmen, steigerte die Häme noch.

 

Zdeněk Sýkora: Aber ich kann das verstehen, denn als ich zum Beispiel Ende der fünfziger Jahre den Zyklus „Gärten“ schuf, konnte ich Abstraktion nicht ausstehen.

 

Wenn man sich nicht ständig kontrolliert, sich nicht stilisiert, sondern seinen Gefühlen folgt, ahnt man nicht, wohin man kommt. Und der Mensch kennt sich ja selbst nicht. Die Leute sind es gewöhnt, entweder völlig falsche Vorstellungen von sich selbst zu haben oder sich eine bestimmte Vorstellung zu machen, die mit der Wirklichkeit korrespondiert; sie denken aber, dass sie immer so bleiben und sich nicht mehr verändern. Es gibt aber doch so viele äußere Einflüsse und Möglichkeiten, was der Mensch alles erkunden kann...

 

Mir gefällt ein Ausspruch von Renoir – auf die Frage, wie er beim Malen vorgehe, antwortete er: „Wissen Sie, ich male, wie wenn man einen Korken auf das Wasser wirft: Ich weiß nie, wohin es mich treibt.“ (sinngemäßes Zitat, Anm. d. Übers.) Das ist meiner Meinung nach die richtige Einstellung. In der künstlerischen Arbeit soll man sich nicht selbst programmieren...

 

Die Leute wenden ein, dass ihnen mein Arbeitsansatz nicht sehr schöpferisch erscheint, wenn ich etwas umsetze, das eigentlich schon (wenn auch durch mich selbst) im Vorhinein vorgegeben ist. Aber gerade die Umsetzung ist ein weiteres großes Erlebnis: Es ist ein ähnliches Verhältnis wie das Schreiben einer Partitur und die Aufführung des musikalischen Werks. Manche können sich das nicht vorstellen; das Bild erscheint ihnen wie eine technische Zeichnung, die jeder andere auch anfertigen könnte, ohne etwas dabei zu empfinden.

 

Andere wieder stellen sich vor, dass ich meine Werke vom Plotter abzeichne. Bei einer Debatte mit Studierenden in Brno fragte mich einer von ihnen, warum ich nicht das Ganze dem Computer überlasse, der schließlich all diese Bilder schneller und besser ausfertigen könnte.

 

Mir scheint das auch nahezu unbegreiflich (vielleicht, weil ich eher ein technischer Typ bin). Warum machen Sie das per Hand, das muss doch tatsächlich schrecklich aufwändig sein...? 

Das ist es... Es ist wirklich schön aufwändig.

 

Hatten Sie nicht irgendwann das Gefühl, dass Ihnen der Computer helfen könnte, indem er zum Beispiel einen Hilfsoutput anfertigt, auf dem er direkt die Anfangspunkte und Tangenten darstellt? 

Auf gar keinen Fall. Bei den Formaten, durch die ich mich ausdrücke, ist das zu nichts nütze. Außerdem ist die physische Anwesenheit in der Kunst absolut notwendig. Ich bin vor allem Maler und der Computer dient mir nach wie vor lediglich als mechanischer Beutel mit Zahlen. Das ist alles, was er für mich bedeutet.

 

Und erst der Augenblick, in dem ich nach dem Konstruieren aller Linien mit der farbigen Gestaltung anfange und alles sich zu klären beginnt – das ist eine gewaltige Katharsis.

 

Die Leute würden wahrscheinlich staunen, wenn sich das Gefühl Ihrer Erregung messen ließe. Ich denke, dass jemand mit einer gut etablierten künstlerischen Form, mit der er einmal irgendwo vor einer Gesellschaft bestanden hat, in Wirklichkeit nur vorgibt, bei Ihnen die menschliche Hand, die Pinselführung, zu vermissen, denn ihn, den „Neider“, schrecken die Freiheit und der Mut, den Computer zu verwenden. 

Die besten Köpfe, über die die Menschheit verfügt, sind auf dem Gebiet der Forschung tätig. Mir scheint, dass sich viele Künstler mitunter in einen Widerspruch, ja in einen direkten Gegensatz zur Wissenschaft stellen. Das ist schwer zu begreifen. Die Entwicklung der Wissenschaft ist heute sehr viel dramatischer als die Entwicklung der Kunst.

 

Vít Petrjanoš: Da stimme ich Ihnen zu. Die Kontakte zwischen Kunst und Wissenschaft sind nicht immer einfach. Ich ging kürzlich durch eine große Ausstellung für Computertechnik und -grafik. Bei jedem Exponat stand jemand bereit, der eine Erklärung dazu gab, seine Möglichkeiten beschreiben und beraten sollte usw. Ich ging vom einen zum anderen, erkundigte mich, wie ein bestimmtes künstlerisches Vorhaben umsetzbar wäre, und fragte nach, ob der betreffende Computer dabei helfen könnte und wie. All diese Leute waren durch meine Fragen irritiert, sie verstanden mich überhaupt nicht. Unter ihnen waren auch die Autoren der Ausstellung, und alle versicherten mir, dass sie das so nicht kennen. Schließlich versuchte ich nur noch herauszufinden, ob sie jemanden kennen, der zu dieser bescheidenen Zusammenarbeit mit einem Künstler bereit wäre. Ohne Erfolg.

Nur zwei von ihnen kannten den Namen Sýkora und wussten, dass an so etwas gearbeitet wird, aber sie behaupteten, dass sei ein völlig anderer Weg, dass sie das anders angehen. Sie begannen, mir zu zeigen, was ihr Computer kann, sie schufen ästhetische Strukturen. Ich denke, dass diese Kunst vor allem ein schönes und inspirierendes Spiel ist, das auf Ästhetik beruht und ein gewisses optisches Erlebnis vermittelt, aber nichts mehr mit dem menschlichen Willen gemein hat, der in der Kunst an erster Stelle wirksam ist; ganz zu schweigen davon, dass Sie die Bemühungen um eine durchgearbeitete und immer ganz konkrete Form fortsetzen, was letztendlich den Meister vom Laien unterscheidet.

 

Haben Sie über die Möglichkeit nachgedacht, ein Programm erstellen zu lassen, das Ihre Erfahrungen und Erlebnisse beinhaltet? 

Nein. In dieser Phase meines Schaffens ist der Computer für mich tatsächlich nur ein Instrument, um Reihen von Zufallszahlen generieren zu lassen.

 

Das scheint das Moment zu sein, durch das Sie sich von allen anderen Künstlern unterscheiden, die für ihre Arbeit den Computer nutzen. 

Genau. Ich kenne all diese Leute aus aller Welt, wir sind ständig miteinander in Kontakt. Alle schütteln den Kopf über mich, wie es möglich ist, mit so minimalen Mitteln zu solchen Ergebnissen zu gelangen. Sie haben den Nachteil, dass sie meist schon vom Beginn ihres Schaffens an nur das nutzen, was der Computer kann, d.h. eine Methode, die sie kaum noch weiterentwickeln. Es sind aber sehr spontane und zugängliche Menschen und ich treffe mich gern mit ihnen.

 

Glauben Sie, dass es noch ein anderes künstlerisches Ausdrucksmittel für den Zufall gibt?  

Aber sicher, ich selbst habe Projekte für viele Jahre im Voraus. Zurzeit ringe ich mit dem Problem der Farbflecken, die durch geschlossene Linien entstehen. Aber nach wie vor komme ich logisch nicht mit dem Abschluss eines solchen Flecks zurande... /Redaktionelle Anmerkung: Die Rede ist von Bildern, die erst drei Jahre später umgesetzt wurden./

 

Radim Vejvoda: Ich hatte vor einigen Jahren eine ähnliche Idee, die von Ihrer Kunst beeinflusst war. Es ging darum, durch das Generieren von Zufallszahlen Punkte festzulegen, denen in einem bestimmten Moment gewissermaßen Leben zu entströmen beginnt: Die (natürlich ebenfalls zufällig gewählte) Farbe würde sich mit derselben Geschwindigkeit (gewissermaßen derselben Energie) in alle Richtungen ausbreiten. Das würde anfangs wie eine Wasserfläche aussehen, nachdem man mehrere Steine hineingeworfen hat. In dem Augenblick, in dem sich zwei Farben in einer bestimmten Richtung berühren würden, würde die sich die Energie aus dieser Richtung gleichmäßig in die anderen Richtungen verteilen und die Farbe würde sich schneller in den freien Raum ausbreiten. Mit dem abnehmenden freien Raum würde sich die Geschwindigkeit erhöhen, bis die Farbe die gesamte Fläche bedecken würde. Die letzte Phase würde vermutlich unglaublich schnell ablaufen und wäre sehr dramatisch. Als Ergebnis sehe ich entweder einen zusammenhängenden „Film“ oder einen Zyklus von Bildern, die alle wichtigen Phasen der Entwicklung festhalten. Sicher könnte man das noch weiter verbessern.

 

Vít Petrjanoš: Aber je mehr Arbeit du dem Computer überlässt, umso weniger Kontrolle wirst du über dein Werk haben. Und du kannst dahin kommen, dass das Bild tatsächlich eher zu einem Werk des Computers wird (und damit der Leute, die den Computer geschaffen haben) als zur künstlerischen Arbeit des Menschen, der mit dem Rechner operiert.

 

In Ihrem Fall, Herr Sýkora, ist das aber ganz eindeutig, denn Sie arbeiten lediglich mit dem Zufall und gehen von einer elementaren Aneinanderreihung von Zahlen aus. Ich halte das für eine enorme Selbstbeherrschung: Ab einem gewissen Punkt widerstehen Sie bewusst der Verlockung, einen bestimmten Teil der Arbeit dem Computer zu überlassen. Was die Verwendung des Computers angeht, sind Sie eigentlich ein purer Minimalist. 

Ja, das ist eine exakte Definition. Auch das Wort „minimal“ gefällt mir immer mehr und meine ganze Arbeit wird eine Zeit lang diesen Charakter haben. Ich minimiere auch die Ausdrucksmittel. Auf dem Weg vom größten Chaos in dem Bild, das ich „Das Jüngste Gericht“ (Linien Nr. 24) nenne, kristallisiert sich meine Kunst immer weiter heraus, wird einfacher, wirklich minimalistischer. Das ist ein Wort, das mich jetzt umtreibt. Im Minimalismus sehe ich die nächste Phase meines Schaffens. Mir scheint, dass alles Wichtige im Bild enthalten ist, auch wenn die Zahl der Elemente abnimmt. Mein Weg führt über Integration und Abstraktion zur Synthese. Oder, anders gesagt, der Mensch ist zum Alter hin immer weniger geschwätzig...

 

Vielen Dank für das Interview und die schönen Momente, die wir mit Ihnen und Ihrer Frau Lenka erleben durften.

 

Das Interview wurde erstmals in der Zeitschrift „PC World“ veröffentlicht, 1991, Jg. 2, Nr. 6, S. 74–79. Es ist im Buch Zdeněk Sýkora Rozhovory (Zdeněk Sýkora Interviews) zu finden.

 

Vít Petrjanoš (1957), unabhängiger Publizist. Damals arbeitete er in der neu gegründeten Gesellschaft IDG Praha (International Data Group), der Tochtergesellschaft eines internationalen Verlagskonzerns mit Sitz in Boston, die mehrere Zeitschriften zum Thema Computer herausbrachte.

 

Radim Vejvoda (1964), Maler